Der .lkj)-Herbstsalon „Heimat.Land.Jugendkultur“ zeigte in Stendal, was Jugendliche und Künstler*innen dagegen tun.
„Heimat bedeutet für unser Handeln in interkultureller Bildung und Soziokultur nicht begrenztes Territorium und kein Vehikel der genealogischen Exklusion, sondern: ein Hoffnungsort der Teilhabe, eine Aufgabe, eine Vision.“1 Entlang dieses Bonmots organisierte das Netzwerk aus dem Kontext der WIR-Projekte in Sachsen-Anhalt eine besondere Veranstaltung bestehend aus einem öffentlichen Best-Practice-Schaufenster „Herbst-Salon“ in der ehemals leerstehenden „Kleinen Markthalle“ Stendal und einem Fachtag an der Hochschule Magdeburg-Stendal.
In der Nähe neuer Nachbar*innen, in Jugendkulturen, im ländlichen Raum geht es den beteiligten Vereinen, Künstler*innen, Jugendlichen und Expert*innen seit Jahren darum, dass Menschen sich miteinander beheimaten. Jugendliche, Kulturaktive und Bildungskräfte setzen sich mit ihrer unmittelbaren natürlichen, kulturellen und sozialen Umgebung auseinander. Sie knüpfen und pflegen untereinander Beziehungen, in denen sie sich gut aufgehoben fühlen. Sich beheimaten schließt zweiheimisch sein nicht aus, inkludiert Erfahrungen aus unterschiedlichen Räumen, Sprachen und Zeiten und heißt letztlich gemeinsam Verantwortung für die Qualität geteilter Lebensmittelpunkte zu übernehmen. Diese Ansätze verorten die lkj-Aktiven aus Sachsen-Anhalt in ihren Projekten seit 25 Jahren. In Stendal wurden diese Ansätze und das dafür benutzte Methoden-Kaleidoskop vorgestellt, diskutiert und illustriert.
Am 21. November 2019 veranstaltete also die .lkj) Sachsen-Anhalt e.V. in der Kleinen Markthalle Stendal einen Herbst-Salon mit engagierten Künstler*innen, Ehrenamtlichen, Jugendlichen und Expert*innen aus Wissenschaft und kultureller Bildung. Gerahmt von kurdischer und krimtatarischer Livemusik diskutierten unter anderem Klaus Farin, Leiter des Hirnkost-Verlages Berlin, Corinna Köbele, Vorsitzende der Künstlerstadt Kalbe, Jens Winter, Imker und stellvertretender Leiter der Jeetzeschule Salzwedel sowie Barbara Hallmann. Präsentiert wurden Filme, Theaterstücke und Projektideen für das Hierbleiben, für Lust auf Landleben und demokratische Teilhabe. Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen kann ein Wurfanker sein gegen den demografischen Wandel. Jedoch gibt es dafür die richtigen Rahmenbedingungen, gibt es dafür genug Achtung und Unterstützung? Erfahrungen aus den .lkj)-Projekten „Dehnungsfuge“ und „WIR.Heimat.Land.Jugendkultur“ werden dies beleuchten.
Die Autorinnen Sibylle Sperling und Barbara Hallmann stellten das Altmark-Projekt „In the Middle of Nüscht“ vor und diskutieren mit dem Filmemacher Alexander Kühne. Sein Film „Lugau City Lights. Ein DDR-Dorf schreibt Pop-Geschichte“ lief am gleichen Abend in der ARD und wurde vorher in Stendal mit Kühne als Live-Gast in der Kleinen Markthalle diskutiert. Die „Kleine Markthalle“ selbst spiegelt als Bürger-Institution nicht zuletzt den Erfolg solcher Projekte wider, ist sie doch das Ergebnis jahrelangen gemeinsamen Ringens unterschiedlicher Akteur*innen aus Stendal um einen öffentlichen Bürgertreffpunkt, wo vormals Wurst, Käse und Brötchen über den Ladentisch gingen. Eine Erfolgsgeschichte der Heimat, in der man bleiben möchte, die mit dem Herbstsalon auch gefeiert werden sollte, die Zusammenhalt und Lebensfreude ausstrahlt. Die Kleine Markthalle als lebendiger Ort ist nur ein Ergebnis von mehreren, welches das .lkj)-Projekt „Dehnungsfuge“ in Kooperation mit dem Theater der Altmark, der Freiwilligen-Agentur, dem DRK und vielen engagierten Ehrenamtlichen in der Altmark verstetigen konnte.
An der Hochschule Magdeburg-Stendal fand am zweiten Tag der Veranstaltung am 22.11. zur gleichen Thematik eine Fachtagung mit Expert*innen aus dem gesamten Bundesgebiet statt: „Heimat.Land.Jugendkultur“. Ziel dieser internen Fachtagung war es, die Befragungsergebnisse aus dem WIR-Forschungsprojekt „Heimat.Land.Jugendkultur“ vorzustellen und mit Ergebnissen anderer Studien abzugleichen. Eröffnet werden sollten so Einblicke in die Lebenslagen und -situationen von Jugendlichen in Kleinstädten und ländlichen Regionen Deutschlands. Programm-verantwortlich war Prof. Dr. Günter Mey (Hochschule Magdeburg-Stendal), der Leiter des Bereiches wissenschaftliche Begleitung des WIR-Projektes.
Nach der Einführung ins Thema durch Günter Mey kamen die Gäste und Diskutanten zu Wort. Eine erste Vorstellung der Ergebnisse der web-basierten WIR-Studie „Heimat_Land_Jugendkultur“übernahmen Sophie Kersten und Geschäftsführer Benjamin Ollendorf vom An-Institut Kinderstärken der Hochschule Magdeburg-Stendal.
Kommentierende bzw. ergänzende und kontrastierende Beiträge präsentierten danach Dr. Patrick Küpper (Thünen-Institut Braunschweig) zum Thema „Zufriedenheit junger Menschen mit den Lebensbedingungen in ländlichen Räumen“, Dr. Sarah Beierle (DJI Halle) zu „Connections sind hier das A und O“, Detlef Lindau-Bank (Universität Vechta) sprach zu „Bleiben oder gehen – Nichts ist klar, nichts scheint wahr“ und der renommierte Jugendforscher Österreichs Prof. Dr. Berhard Heinzlmaier (Institut für Jugendkulturforschung Wien) gab einen erfrischenden Input zu „Jugend auf dem Land sind Städter im Kopf: Die ländliche Jugend – ihre Werte, ihre Wünsche, ihre Kultur“.
Die
Symposiums-Beiträge, die Best-Practice-Beispiele des Herbst-Salons
und die Datenanalyse aus der WIR-Umfrage werden 2020 in einem
Projekt-Band publiziert, dass im Hirnkost-Verlag erscheinen wird, so
dass von diesem Projekt und dessen gelungenem Abschluß nichts
verloren geht.
Die
Veranstaltung wurde gefördert durch:
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
- RESPEKT! Die Stiftung, Berlin
- Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration Sachsen-Anhalt
- Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr Sachsen-Anhalt
- ZEIT-Stiftung / Ebelin und Gerd Bucerius
Weitere Informationen, Fotos und Programm sind hier (facebook) oder hier (Webseite) zu finden.
1 Angelehnt an Überlegungen der Redaktion SOZIOkultur zum Heft 3/2019 zum Thema „beheimaten“; online unter URL: http://www.soziokultur.de/bsz/sites/default/files/file/flipviewer/Sk3-19/web/flipviewerxpress.html (10.01.2020).